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Seit einigen Jahren geistert mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich gerne Blut spenden möchte. Ist eine super Sache und da ich durch meine hochgradige Sehbehinderung häufig Unterstützung von anderen brauche, finde ich das eine klasse Möglichkeit, etwas zurückzugeben. Obwohl – um etwas für andere zu tun, habe ich noch nie eine Begründung gebraucht.

Zunächst blieb es jedoch eine Idee, die ich schließlich auf meine bucket list schrieb. Daraufhin meldete sich eine Blogleserin bei mir und meinte, sie würde mir gerne helfen, diesen Wunsch wahr zu machen und bot mir an, mich zur Blutspende zu begleiten und mir vor Ort zu helfen. Zutiefst gerührt über dieses feinfühlige Angebot ergriff ich die gereichte Hand und los ging es zur Blutspendezentrale.

Aber so einfach ist Blutspenden mit hochgradiger Sehbehinderung nicht

Bei meinem ersten Besuch in der Blutspendezentrale des Katharinenhospitals in Stuttgart stieß ich gleich auf mehrere Barrieren.

Zum einen drückte man mir bei der Anmeldung einen ellenlangen, winzig kleingedruckten Fragebogen in die Hand und erklärte mir, dass ich alles selbst lesen und ausfüllen müsse und mir meine Begleitperson dabei nicht helfen dürfe.

Wie bitte? Das konnte ich erst gar nicht glauben. Die Begründung war, dass ich eventuell meiner Begleitperson gegenüber nicht offen sein würde was Krankheiten, One-Night-Stands und ähnlich Persönliches anging. Na gut, die Leute dort kennen mich ja nicht und wissen nicht, dass ich die Ehrlichkeit in Person bin. Außerdem könne ja auch ich getäuscht werden, wenn ich nicht alles selbst ausfülle. Ah ja…

Mehr oder weniger überzeugt nahm ich die Situation so hin, schnappte mir einen Kugelschreiber und… stellte fest, dass ich meine Lesebrille (eine Kantenfilterlupenbrille) nicht eingepackt hatte. Mit einer solchen Hürde hatte ich schlichtweg nicht gerechnet beziehungsweise ganz ehrlich: ich habe überhaupt nicht daran gedacht!

Großartig! Was jetzt? So saß ich dann also eine sehr lange Zeit im Wartebereich und mühte mich in einer konzentrationsgeladenen Kombination aus zusammengekniffenen Augen und Smartphone-Zoom ab, Vorder- und Rückseite der zahllosen Fragen durchzuackern.

Hindernis 1: Winzige Schwarzschriftunterlagen, die komplett alleine auszufüllen waren!

Bei meinen Unterlagen fand sich auch meine Nummer, die mir anzeigen sollte, wann ich zur Voruntersuchung dran war. Gut, dass mir meine Begleitung wenigstens Bescheid sagen durfte, dass diese von einem Glockenklang begleitet gerade auf dem dafür vorgesehenen Monitor auftauchte. Die sehr alte Anlage ist wohl zum Vorlesen der Nummern nicht im Stande. Dumm für mich. Wäre ich alleine da, müsste ich mich an andere Wartende wenden. Im Grunde kein Akt, trotzdem nicht barrierefrei.

Hindernis 2: Nummern ziehen ohne akustische Ansage auf einem kleinen Monitor

Mit meinem halbausgefüllten Fragebogen setzte ich mich an Schalter 2, wo eine ausgesprochen nette Person meinen grenzwertig akzeptablen HB-Wert testete und meinen Puls checkte. Etwas unglaubwürdig nur, dass dieser niedrig war, immerhin quälte ich mich seit über einer halben Stunde mit Schweißausbrüchen durch eine Textwüste… naja, sie wird schon wissen, was sie tut 😉

Ich wurde für spendentauglich erklärt und man sagte mir außerdem, wenn ich irgendwie Hilfe benötigen würde, solle ich einfach zu einem freien Schalter kommen. Man würde mir dort auf jeden Fall zur Seite stehen. Wirklich liebenswerte Frauen dort!

Mittlerweile hatte meine Begleitperson ihren Fragebogen längst ausgefüllt, war bei der Voruntersuchung und beim Arztgespräch gewesen und wurde zum Blutspenden nach oben geschickt. Ich blieb unten und nahm wieder den Kampf gegen für mich mikroskopische Schwarzschrift auf – und ich gewann schließlich mit glänzender Stirn, leichten Kopfschmerzen, aber einem triumphalen Gefühl in der Brust, dass ich mich nicht habe abhalten lassen!

Tipp: Der vollständige Fragebogen hängt um einiges größer als Bild an der Wand. Eine gute Möglichkeit, die Fragen einigermaßen angenehm durchlesen zu können!

Hürde gemeistert – was jetzt?

Ich gab meine ausgefüllten Unterlagen bei der Anmeldung ab, wo man ganz beeindruckt von meinem Durchhaltevermögen und meiner Mühe war. Das freute mich – hilfreicher wäre allerdings eine einfache Großkopie gewesen… Trotzdem geschafft! So leicht bin ich ja nicht abzuschrecken.

Tipp: Bei der Anmeldung jedes Mal nach einer Großkopie fragen. Selbst, wenn man sie nicht bekommt, schärft das die Wahrnehmung für die unzureichende Situation.

Ein ausführlicher Arztbesuch stand nun auf dem Programm. Da ich anmerkte, dass ich das Nummernaufrufsystem nicht sehen könne, wurde ich namentlich ins Untersuchungszimmer beordert. Dort ging die gute Frau Doktor tatsächlich jeden einzelnen Punkt auf der zweiseitigen Liste mit mir durch, sodass ich mich schon kurz fragte, warum ich das Ganze eigentlich ausgefüllt hatte? Sie hätte es ja gleich mit mir besprechen können… Tief durchatmen, immerhin ging so bestimmt mein Blutdruck etwas nach oben. Wer braucht schon Koffein, wenn er ein Handicap hat?  

Natürlich war die Ärztin sehr interessiert an meiner Augenerkrankung. Ich erklärte, dass diese genetisch bedingt sei, wie sie sich äußere und so weiter… sie durchforstete ihre Datenbank, kontaktierte eine Kollegin und kam letzten Endes zu dem Schluss, dass sie ein augenärztliches Attest wolle, das bescheinige, dass Blutspenden für meine Krankheit kein Risiko darstelle.

Endstation

Wow, das war ja mal ein Hürdenlauf, der abrupt kurz vor dem Ziel endete. Ich verstehe die Sorge und fand es im Grunde in Ordnung, dass sie sich und vor allem ja mich absichern wollte. Die Überlegung war, dass durch den schnellen Blutverlust von immerhin einem halben Liter meine Augen nicht geschädigt werden sollten. Und da sie sich mit dieser seltenen Augenerkrankung nicht auskannte, war es nur logisch, einen Expertenrat einzuholen.

Ich ging erschöpft zu einem freien Schalter und nutzte das Angebot, mich von einer freundlichen Helferin nach oben zu meiner mittlerweile etwas blutleereren Begleitperson bringen zu lassen. Man kann ja sagen, was man will – hilfsbereit, herzlich und liebenswert sind sie dort alle!

Der Rückkampf

Zwei Monate später wagte ich einen neuen Versuch! Ausgerüstet mit Lesebrille und attestschwingend stürzte ich mich auf den Fragebogen, bestand die Voruntersuchung und wurde zum Blutspenden zugelassen.

Der Witz war, dass sich niemand so recht für mein Attest interessierte. Beim kurzen ärztlichen Check warf dann endlich mal jemand überhaupt einen Blick darauf und bat mich, das Dokument behalten zu dürfen, um es später einzuscannen. Die recht lockere Ärztin meinte dann auch, dass ich ja eigentlich den Fragebogen selbst hätte ausfüllen müssen, aber sie würde da jetzt eine Ausnahme machen.

Wie bitte? Natürlich ließ ich es mir nicht nehmen, ihr zu sagen, dass ich sehr wohl alles mühevoll selbst ausgefüllt hatte und schlug vor, ein paar Großdrucke für sehbeeinträchtigte Spender bereitzulegen. Ob diese Idee jedoch auf offene Ohren stieß, werde ich erst das nächste Mal sehen… 

Lizzi vor vielen Kakteen

So, tatsächlich durfte ich endlich Blut spenden!

Ich fragte eine Helferin, wohin ich jetzt müsse, da ich die Nummern auf dem Anzeigebildschirm ja nicht erkennen konnte und landete schließlich auf einer Liege, bekam eine Nadel in den Arm, durfte einen knallroten Ball kneten und wurde um 500 Milliliter Blut erleichtert. Der Piks tat weh, meine Hand war sehr schnell müde vom Pumpen und mein Magen war nicht ganz so begeistert, als ich den rotengefüllten Schlauch betrachtete, durch den gerade mein Lebenssaft aus mir herausfloss.

Ich gestehe: Ich bin da etwas sensibel – früher bin ich schon bei Impfungen oder einfachem Blutabnehmen umgekippt. Nach drei Jahren Hyposensibilisierung hält sich meine Begeisterung für Nadeln noch immer in Grenzen, aber es geht deutlich besser. Und das Wichtigste ist ja, es trotz Unannehmlichkeiten durchzuziehen. Wiedermal toll, dass mein Wille größer als mein Befinden ist!

Im Ziel gings dann ab(wärts)

Yes, endlich geschafft! So viele Hindernisse mussten überwunden werden, damit ich etwas Gutes für andere tun durfte. Da zeigt sich mal wieder, dass man manches wirklich sehr wollen muss, wenn man ein Handicap hat. Aber Mission „Helfen mit Hindernissen“ wurde trotzdem ein Erfolg!

Ich ging rüber in den Vesperraum – mittlerweile fand ich mich in den Räumlichkeiten ganz gut zurecht, schenkte mir eine Cola ein, schnappte mir ein dickes Rindswürstchen an der Theke und stand gerade vor dem Brot, als ich es bemerkte. Kreislaufalarm. Oh neee, ich dachte wirklich, das würde mir erspart bleiben. Schnell stellte ich Teller und Glas auf den Tisch und ließ mich auf dem Stuhl nieder.

Kalte Hände, flaues Gefühl, zufallende Ohren, Flimmern vor den Augen… nach dreimal tief durchatmen war mir klar, ich musste noch eine Ebene tiefer. Also setzte ich mich auf den Boden, lehnte mich an eine Wand und atmete ruhig weiter. Häufig hilft die Härte des Untergrundes am besten. Wie schon erwähnt habe ich auf diesem Gebiet etwas unfreiwillige Erfahrung – darum merkte ich: auch das war noch nicht tief genug, denn ich fühlte geradezu, wie das Blut aus meinem Gesicht verschwand und meine Lippen blauweiß wurden.

Das Ende vom Lied: ich lag im Speiseraum zwischen Tischen und anderen Spendern auf dem Rücken, die Beine auf einem Stuhl und wartete, dass mein Körper wieder zur Normalität übergehen würde. Gut, dass ich kein Kleid angezogen hatte.

Nervig finde ich daran eigentlich nur, dass mir in diesen Momenten oft die Stimme fehlt, um den besorgten Leuten um mich herum sagen zu können, dass alles gut ist und es mir gleich wieder besser gehen wird. Meistens bringe ich nur „Kreislauf“ und „alles okay“ heraus. Sie können ja nicht ahnen, dass ich sozusagen Schwindelexpertin bin.

Nach einigen Minuten kam ich endlich wieder auf die Beine, verspeiste mein Würstchen und wurde mit Cola abgefüllt. Auf dem gemütlichen Heimweg war ich mir ganz sicher, ich würde Cola schwitzen… zu Hause gings erstmal auf Sofa und später früh schlafen. Das Ganze hat mich ziemlich ausgeknockt! Der Hürdenlauf, die Anspannung und die gut 36°C trockener deutscher Hitze.

Verband nach dem Blutspenden

Zusammengefasst kann ich sagen

  1. Blut spenden ist nicht barrierefrei!

Der Fragebogen ist winzig (DIN A4, sehr kleine Schrift)

Vorschläge:

  • für sehbehinderte Spender die Unterlagen großkopieren
  • für blinde Spender Unterlagen in Punktschrift bereitlegen oder mit Arzt oder Blutspendehelferin gemeinsam ausfüllen

Das Nummernsystem ist für Sehbehinderte und Blinde unbrauchbar

Vorschläge: eine neue Anlage, die nach dem Glockenklang die Nummer (und den zugewiesenen Schalter) vorliest (so etwas gibt es zum Beispiel beim Service-Center der Deutschen Bahn)

  1. Nettigkeit, Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit werden beim Blutspenden großgeschrieben

Ich fand es ein wundervolles Erlebnis, trotz der materiellen Barrieren auf sehr viel Offenheit und Menschlichkeit zu treffen. Wo es an einem großgedruckten Text haperte, mangelte es nicht an Großherzigkeit! Wo eine helfende Hand benötigt wurde, waren mindestens zwei. Auch unter den Menschen, die spenden wollten, herrschte Rücksichtnahme und man passte aufeinander auf. Wirklich eine ganz tolle Erfahrung für mich!

  1. Fortsetzung folgt

Ich finde es fantastisch, dass ich durch eine Blutspende anderen Menschen helfen kann. Durch ein paar winzige Unannehmlichkeiten kann man viel bewirken, vielleicht sogar ein Leben retten! Wenn es das nicht wert ist, weiß ich nicht, was Mensch sein bedeutet.

Mein nächstes Ziel: ich werde den Weg zur Blutspendezentrale lernen, damit ich auch alleine dorthin gehen kann. Jetzt, da ich die Räumlichkeiten, die Abläufe und die Hilfsbereitschaft kenne, sollte der nächste Besuch ein Kinderspiel werden. Und hey – nach der 100. Blutspende bekommt man eine Ehrennadel! Also auf geht’s: nur noch 99 Mal!

Hast du schon mal Blut gespendet? Welche Erfahrungen hast du gemacht? Wie war das für dich? Hinterlasse doch einen Kommentar…


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Ein Kommentar zu „Blut spenden – Helfen mit Handicap!

  1. Hallo Lisa mit schmunzeln habe ich deinen Blog gelesen, obwohl es eigentlich eher ein bisschen traurig ist, wie bestimmte Dinge so ablaufen, vor allem wenn man helfen möchte. Ich weiß, dass du dich nicht unterkriegen lässt von solchen Dingen .. ist auch gut so . Ich bin heute wieder operiert worden und hoffe bald wieder fahrradtauglich zu sein, damit die versprochenen Tandem Touren auch stattfinden können. Viele Grüße Carlos vom Bewegungszentrum

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